Ausgabe 1/2020, Februar

WIdO-Themen

Diabetes mellitus Typ 2: Der Osten ist stärker betroffen

Etwa jeder zwölfte Einwohner in Deutschland leidet an Diabetes mellitus Typ 2. Doch wo leben die meisten Diabetiker und in welchen Regionen tritt die Krankheit seltener auf? Der „Gesundheitsatlas Diabetes mellitus Typ 2“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) macht die Krankheitshäufigkeit erstmals transparent – auf Ebene der 401 Landkreise und kreisfreien Städte.

Von den 82,7 Millionen Einwohnern Deutschlands leiden 7,1 Millionen Menschen an Diabetes mellitus Typ 2. Dies entspricht einem Anteil von 8,6 Prozent der Bevölkerung. Vor allem in den östlichen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen tritt die Erkrankung häufig auf. Die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein haben mit 6,4 und 7,2 Prozent die geringste Erkrankungshäufigkeit. Auf Ebene der 401 Landkreise und kreisfreien Städte sind die Unterschiede noch deutlicher: Anteilig am wenigsten Typ-2-Diabetiker leben in den baden-württembergischen Städten Heidelberg und Freiburg mit 4,8 und 4,9 Prozent der Bevölkerung, am meisten in den brandenburgischen Landkreisen Elbe-Elster mit 14,9 und Prignitz mit 15,4 Prozent.

Bei der Ursachenforschung für diese Unterschiede spielt das Alter eine Rolle, da die Stoffwechselerkrankung mit steigendem Alter häufiger auftritt. Mehr als die Hälfte der Erkrankten ist über 70 Jahre alt. Große Unterschiede bleiben aber auch bestehen, wenn Abweichungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur zwischen den Regionen berücksichtigt werden. Weitere Erklärungsansätze liegen in genetischen Faktoren und den bekannten Risikofaktoren. So zeigt sich in den Regionen ein deutlicher Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas.

Zudem ist der Wissenschaft der Einfluss sozialer und materieller Benachteiligung (Deprivation) bekannt. Die Ergebnisse des Gesundheitsatlas unter Nutzung des German Index of  Socioeconomic Deprivation (GISD) des Robert Koch-Instituts bestätigen dies: In Regionen mit der geringsten Deprivation finden sich nur 7,6 Prozent Typ-2-Diabetiker, in den Regionen mit der höchsten Deprivation dagegen 10,1 Prozent. Unterschiede in der Alters- und Geschlechtsstruktur
sind dabei bereits bereinigt.

Zusammenfassend zeigen sich deutliche regionale Unterschiede bei der Häufigkeit des Diabetes mellitus Typ 2. Dabei wirken verschiedene Faktoren zusammen. Während sich Alter und genetische Faktoren nicht beeinflussen lassen, können eine Verringerung der Adipositashäufigkeit und mehr Bewegung dazu beitragen, dass weniger Menschen erkranken. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. Mit den Informationen aus dem Gesundheitsatlas können Landräte und Bürgermeister die Situation vor Ort genauer einordnen und die gesundheitlichen
Rahmenbedingungen für die Bürger ihrer Region verbessern.

Dr. Katrin Schüssel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Integrierte Daten und Analysen beim WIdO

„Der Gesundheitsatlas Typ-2-Diabetes liefert den Akteuren vor Ort fundierte Informationen über das Krankheitsgeschehen in ihren Regionen.“

Dr. Katrin Schüssel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Integrierte Daten und Analysen beim WIdO

Ambulante Psychotherapie: Reform der Richtlinie beginnt zu wirken

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat die Psychotherapie-Richtlinie überarbeitet. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) zieht eine Zwischenbilanz.

Mehrere Neuerungen sollen Versicherten seit dem Jahr 2017 den Zugang zu ambulanter Psychotherapie erleichtern: eine psychotherapeutische Sprechstunde, eine psychotherapeutische Akutbehandlung, ein vereinfachtes Antragsverfahren für Kurzzeittherapien, die Förderung von Gruppentherapien sowie von den Kassenärztlichen Vereinigungen ausgewiesene obligatorische Sprechzeiten.

Analysen des WIdO zeigen: Unter denjenigen, die sowohl 2016 als auch 2018 AOK-versichert waren, beanspruchten nach der Reform 24 Prozent mehr eine Probatorik, Richtlinien-Psychotherapie, psychotherapeutische Sprechstunde oder die Akutversorgung als im Jahr 2016, in welchem die beiden letzteren Leistungen noch nicht eingeführt waren.

Bezogen auf ihr gesamtes Leistungsspektrum behandelten die genannten Fachgruppen fast sechs Prozent mehr Patienten. Damit scheint die Reform zu wirken und einen breiteren und einfacheren Zugang zur ambulanten Psychotherapie zu ermöglichen. Dazu trägt vor allem die neue psychotherapeutische Sprechstunde bei, verbunden mit einer Gewährleistung der Ärzte und Psychotherapeuten, wöchentlich mindestens 200 Minuten telefonisch erreichbar zu sein. Allerdings werden tendenziell weniger Versicherte im Rahmen antragspflichtiger Kurzzeittherapien behandelt. Für eine umfassende empirische Bewertung der Reform, die auch die qualitativen Auswirkungen in den Blick nimmt, bedarf es daher weiterer Analysen.

Heilmittelbericht: Mit Physiotherapie gegen Rückenschmerzen

Mehr als ein Sechstel der AOK-Versicherten – das entspricht 4,4 Millionen Menschen – hat chronische, unspezifische Rückenschmerzen und war deshalb 2017 in ärztlicher Behandlung. Das zeigt der Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Frauen sind häufiger von Rückenschmerzen betroffen als Männer: Auf 1.000 weibliche Versicherte kommen 200 mit der Diagnose chronischer, unspezifischer Rückenschmerz, bei den Männern sind es nur 147 je 1.000 Versicherte. Während bei den Männern die Erkrankungshäufigkeit nach dem Renteneintritt dauerhaft sinkt, steigt sie bei den Frauen danach noch einmal an.

Knapp 30 Prozent der Patienten mit chronischen, unspezifischen Rückenschmerzen wurden im Jahr 2017 physiotherapeutisch versorgt. Von den betroffenen Frauen erhielt ein Drittel eine Physiotherapie, von den Männern ein Viertel. Insgesamt bekamen Versicherte mit chronischen, unspezifischen Rückenschmerzen 2,3 Millionen Leistungen wie Krankengymnastik, Manuelle Therapie, Massage oder Traktionsbehandlungen – das sind durchschnittlich 1,8 Behandlungen pro Patient.

Für den Heilmittelbericht 2019 hat das WIdO die rund 42 Millionen Heilmittelleistungen ausgewertet, die 2018 zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet wurden, darunter 15,4 Millionen für AOKVersicherte. Der Heilmittelumsatz erreichte damit in der Summe 7,25 Milliarden Euro. Heilmittel umfassen ergotherapeutische, sprachtherapeutische, podologische und physiotherapeutische Leistungen. Der Heilmittelbericht 2019 zeigt Trends in der Heilmittelversorgung der GKV über mehrere Jahre. Die Versorgung der AOK-Versicherten wird zudem alters-, geschlechts- und diagnosespezifisch dargestellt, mit vielen Abbildungen und Tabellen.

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Analysen – Schwerpunkt: Klima und Gesundheit

Klimawandel weltweit und in Deutschland

Daniela Jocob, Katharina Bülow, Jörg Cortekar und Juliane Petersen, Helmholtz-ZentrumGeesthacht

Das Klima verändert sich weltweit sicht- und spürbar. Die globale Erwärmung beträgt bereits 1 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau, Extremereignisse treten stärker und häufiger auf. Projektionen des künftigen Klimas erfolgen auf Basis verschiedener Szenarien mithilfe von Klimamodellen. Sie zeigen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts bei unveränderten CO2-Emissionen die weltweite Durchschnittstemperatur um 3 °C bis 5 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter steigen kann – über Land deutlich stärker als über Wasser. Der Klimawandel hat weitreichende Auswirkungen auf alle ökologischen, ökonomischen und sozialen Systeme. Allerdings können die dramatischsten Veränderungen durch schnelles, mutiges und ambitioniertes Handeln noch vermieden werden.

Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit

Jobst Augustin und Valerie Andrees, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Klimatische Veränderungen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit einen bedeutenden Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Studien zeigen, dass die ersten Auswirkungen bereits ersichtlich sind und zukünftig vermutlich noch an Relevanz gewinnen werden. Multikausale Zusammenhänge erschweren jedoch konkrete Aussagen zu den zukünftigen Auswirkungen auf die Gesundheit. Unabhängig davon kommt der Anpassung an die gesundheitsspezifischen Folgen klimatischer Veränderungen eine besondere Bedeutung zu, um Einflüsse auf Morbidität und Mortalität zu reduzieren. Klima- und Gesundheitspolitik können miteinander einhergehen und Win-win-Situationen erzeugen.

Klimawandel und Gesundheit: Initiativen, Akteure und Handlungsfelder

Dieter Lehmkuhl, KLUG - Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit

Die Klimakrise ist eine existenzielle Bedrohung der Menschheit. Laut Weltklimarat bleibt uns nur noch wenig Zeit und es bedarf beispielloser, schneller und weitreichender Veränderungen
in allen Lebensbereichen, damit sich eine Erderhitzung mit potenziell katastrophalen Folgen noch abwenden lässt. Die klimawissenschaftlichen Zusammenhänge und die Gefahr eines Klimakollapses werden aber in großen Teilen der Politik und der Gesellschaft, auch von vielen Gesundheitsexperten noch nicht genügend verstanden, verdrängt oder verharmlost. Die Klimakrise ist zudem eine große Bedrohung für die globale Gesundheit. Der Nexus von Klimawandel und Gesundheit war aber im deutschen Gesundheitswesen bislang – von Nischen abgesehen – kaum ein Thema. Das ändert sich jetzt überraschend schnell. Wichtige Akteure und Initiativen aus dem Gesundheitsbereich werden dargestellt und Handlungsfelder aufgezeigt,
wo und wie Einzelne, Organisationen und Einrichtungen für Klima- und Gesundheitsschutz aktiv werden können.